Stelle dir vor: Du trittst aus Deinem Zelt im Mount Everest Basecamp. Ein kalter Wind bläst um deine Nase, aber du bist kuschelig warm eingemummelt. Über dir ein dunkelblaues Himmelszelt mit abertausenden, hell erstrahlenden Sternen. Und dann am nächsten Morgen: Du trittst aus Deinem Zelt. Vor dir erhebt sich ganz majestätisch der Mount Everest. Du siehst seine weiße Spitze im Licht der Sonne tanzen. Alles um ihn herum ist rot erleuchtet. Die Sonne geht in einer Schönheit auf, die du noch nie zuvor gesehen hast. Wow.
So habe ich es mir auch vorgestellt. Doch sieht meine Realität im Mount Everest Basecamp gar nicht so romantisch aus. Schneeregen, stürmische Böen, eiskalte Nacht. Ein bedeckter Himmel ohne Sterne und viele Wolken ohne Mount Everest. Enttäuscht? Vielleicht ein bisschen. Aber die Nacht im Himalaya kann mir niemand mehr nehmen. Einer der besten und herausforderndsten Abenteuer meines Lebens.
Lecker. Auch lecker. Oh mein Gott, lecker! Das Buffet im Girong Hotel in Shigatse ist ein Traum. Es gibt Steamed Buns in ALLEN Variationen, lecker gebratenen Reis, süß-frittierte Reisbällchen, Obst, Kuchen und Eisspezialitäten. Ich liebe es. Wir stopfen uns voll bis nichts mehr reinpasst und machen uns dann auf eine sehr lange Autofahrt.
Auf zum Mount Everest Basecamp
Punkt 9 Uhr geht es los Richtung Mount Everst Basecamp, dem Highlight unseres Trips. Neun Stunden werden wir im Minivan sitzen. Und wieder einmal ist der Weg das Ziel: Vorbei an kargen Bergketten, kleinen Dörfern und tief hängenden Wolken erklimmen wir die Welt. Höher und höher geht es von 3.800 Meter auf den ersten Pass: 5.248 Meter.
Der höchste Pass: Wie sich auf 5.248 Höhenmeter das Herz zuschnürt
Auf dem ersten Pass angekommen, krabbele ich aus dem Auto, schnappe kurz nach Luft. Wow! Ich stehe auf 5.248 Meter Höhe! Ich merke aber auch, wie mein Herz nur noch ganz langsam schlägt und sich irgendwie zugeschnürt anfühlt. Ein paar Schritte und ich bin schon außer Atem. Zudem ist es wirklich schweinekalt. Heute und morgen wird eine richtige Herausforderung für den Körper.
Gegessen wird heute in einem chinesischen Restaurant mit tibetisch-chinesischer Küche. Dieses Mal haben wir den Dreh raus, was die Essensbestellung angeht. Jeder sucht sich etwas von der bebilderten Karte aus und wir teilen. So macht man das nämlich. Natürlich ist es wieder viel zu viel, aber soo lecker: Sprossen mit Huhn, Huhn in Toamtensoße mit Karotten und Nüssen, Kartoffeln und Yakfleisch. Dazu einen Ingwer-Honig-Tee.
Der erste Blick auf den Mount Everest – theoretisch
Nach dem ersten Pass geht es wieder tiefer, bis wir auf sehr kurvigen Straßen direkt auf das Mount Everst Basecamp zusteuern. Je näher wir kommen, desto mehr zieht sich der Himmel zu. Auf einem weiteren Pass auf 5.000 noch was Meter Höhe sollen wir die bekannte Himalaya Gebirgskette mit den vier höchsten Bergen über 8.000 Meter sehen (Mount Everest, Mt. Makalu, Mt. Lotse, Mt. Cho Oyu ). Tja, heute nicht. Es strahlt nur noch eine schneebedeckte Spitze hervor. Der Mount Everest ist es nicht.
Diesen Pass finde ich besonders schön. Er ist umhüllt von bunten tibetischen Gebetsflaggen. Man muss richtig unter ihnen hindurchgehen, um zur Aussichtsplattform zu kommen. Sie wehen so schön im Wind, sind von sanften Schneeflocken bedeckt. Als wir die Aussicht bestaunen, sagt ein Chinese zu uns: „Welcome to China!“ (vielleicht verwirren ihn die ganzen chinesischen Flaggen auf den tibetischen Häusern). Und ich hisse einfach nur in mich hinein: „This is not China, this is Tibet“. Er hört mich nicht und vielleicht ist das gut so. Man muss ja aufpassen, was man hier so sagt.
Willkommen im Mount Everst Basecamp – 5.200 Meter Höhe, keine Toiletten und ein kleines Yak-Zelt
Irgendwann nach 8 ½ Stunden kommen wir auf einem großen Parkplatz an. Hier sind noch einige andere Busse – alle voll mit Chinesen. Wir sollen die einzige ausländische Gruppe im Mount Everst Basecamp sein. Die Regierung hat vor einiger Zeit verboten, dass Minivans und Busse bis zum Basecamp durchfahren – der Umwelt zu liebe (?). Stattdessen warten auf dem Parkplatz Sammelbusse, die alle Touris samt Guide und Fahrer einsammeln und zum Camp bringen.
Als ich nach etwa 20 Minuten wieder aussteige, überkommt mich ein komisches Gefühl. Leider kenne ich es nur zu gut. Mein ganzer Körper fängt an zu kribbeln, mein Herz zieht sich zu. Ich stehe kurz vor einer Panikattacke. Die Vorstellung, hier oben auf 5.200 Meter zu sein, ohne mal eben schnell ins „Tal“ fahren zu können, wenn es einem nicht gut geht, und nur schlecht atmen zu können, bereitet mir Angst. Angst, eingesperrt zu sein. Ich setze mich in unser Yak-Zelt und atme ganz tief und ruhig ein und aus. Lima beruhigt mich, dass wenn etwas passiert, uns jemand holen kommt und wir genügend Sauerstoffflaschen für alle haben. Es wird alles gut.
So sieht es im Mount Everest Bascecamp aus
Nach ein paar Minuten ist tatsächlich wieder alles gut. Ich kann ruhig atmen. Ich rede mir: „Ich bin doch gar nicht gefangen, ich könnte mich draußen frei bewegen“. Und auch der Butter Tea – der in solchen Höhen ja Energie und Kraft geben soll – wirkt irgendwie beruhigend.
Nach dem ersten Schock erkunden wir das Mount Everest Basecamp. Leider ist es umgeben von Wolken. Die Berge kann man nur erahnen und der Mount Everest ist so versteckt, dass ich mich frage, ob er überhaupt existiert.
Das Camp ist auf einem großen Platz. Die schwarzen Yakzelte gehen mir bis zur Brust und sind ordentlich nebeneinander angeordnet. Vor dem Eingang hängt ein schwerer bunter Vorhang, der die Kälte raushalten soll. Eine richtige Tür gibt es nicht.
Die höchste Postation der Welt
In der Mitte des Platzes befindet sich die höchstgelegene Poststation der Welt. Hier kann man Postkarten kaufen und sie selbst mit dem roten Stempel verzieren. Meine Postkarten, die ich in Lhasa gekauft habe, verziere ich mit roten Yaks, der Silhouette des Mount Eversts und Zelten. Mein persönliches Highlight heute findet auch im Postzelt statt:
Ein chinesischer junger Mann spricht mich an. Er möchte seiner Freundin eine Postkarte mit einem englischen Gedicht darauf schicken. Weil seine Handschrift nicht so schön ist und er nicht gut Englisch schreiben kann, bittet er mich das zu übernehmen. Nur zu gerne schreibe ich die süßen Zeilen von seinem Handydisplay ab.
5 Hocktoiletten ohne Licht
Die Toiletten sind 5 Hocktoiletten in einem Containerwagen. Es gibt kein Licht, kein Toilettenpapier und kein Waschbecken. Sehr einfach. Lima rät uns den Container hinter dem Mount Everest Basecamp zu nehmen. Der liegt ein wenig außerhalb des Platzes und ist scheinbar weniger oft besucht als der Toilettencontainer vor dem Camp. Im Dunkeln, mit unseren Handys als Taschenlampe bewaffnet, gehen wir immer mindestens zu zweit auf die Toilette. Ich suche eine trockene Stelle auf dem feuchten Boden und stelle mein Handy an die Toilettenwand. So finde ich das Loch und treffe auch noch. Meine beiden Mitreisenden haben übrigens eine Stirnlampe dabei. Das wäre sicherlich sehr schlau gewesen! Auf mich drauf tropft ein wenig Wasser und ich hoffe inständig, dass es geschmolzener Schnee vom Dach ist – was sonst? Das A und O in Tibet ist also: Habe immer Toilettenpapier und Desinfektionsmittel dabei!
Das höchstgelegende Kloster der Welt
Statt in Yakzelten zu schlafen, kann man wohl auch in einem sehr einfachen Gästehaus übernachten. Aber wo wäre da der Spaß? Gerade wird noch ein weiteres Hotel gebaut. Vielleicht etwas luxuriöser? Hinter dem Camp Richtung Mount Everst ist die Rongbuk Monastery. Das höchste Kloster der Welt. Weil das Wetter so schlecht ist, wollen wir es morgen besichtigen.
So schläft es sich in einem Yakzelt im Mount Everst Basecamp
Zurück in unserem Yakzelt, ist es schon etwas wärmer geworden. Unsere Gastgeberin, eine starke Tibeterin, die dieses Zelt vom Staat gemietet hat und nun als Unterkunft anbietet, hat den Holzofen in der Mitte des Zeltes angemacht. Außerdem schüttet sie immer wieder heißes Wasser auf den Teppichboden. Jetzt gibt es auch schon Abendbrot: sehr lecker angebratenen Reis. Essen und Trinken müssen wir hier auch extra zahlen. Die Preise steigen im Himalaya ganz schön an…
21 Uhr sind wir so erschöpft und müde, dass wir direkt ins Bett gehen. Unser Bett heute? Am Rand des Zeltes herum ist eine Art Podest mit einer Matraze darauf und ganz vielen gestapelten Decken und Kopfkissen mit kindlich bunten Motiven. Eine richtige Schlafwiese. Ob die auch mal gewaschen werden, fragen wir uns hier lieber nicht. Meine Mitbewohnerin und ich liegen nebeneinander, mit dem deutschen Pärchen Kopf an Kopf. Lima links von uns auf seinem eigenen Podest. Die Gastgeberin schläft gegenüber von uns auf ihrem Podest. Unser Fahrer wurde ausquartiert, weil das Zelt mit 6 Menschen wohl zu voll ist.
Mein Schlafoutfit? Alles, was ich dabei habe:
- Thermostrumpfhose
- Leggings,
- Sporthose
- dicke Socken
- Unterhemd
- T-Shirt
- Longsleeve
- Pullover
- Fleecejacke
- Daunenjacke
- Mütze
Bevor wir zu Bett gehen, fängt es an zu schneien. Einen Sternenhimmel gibt es heute nicht, auch keinen Sonnenuntergang und erst Recht keinen Mount Everest. Trotzdem ist es einer der besten Erlebnisse überhaupt. Ich schlafe im Himalaya auf 5.200 Höhenmeter!
Meine Ausgaben heute: Was kostet Tibet?
- Mittagessen: bunte Platte aus 4 Gerichten für 5,91 € pro Nase
- Essen und Trinken im Mount Everest Basecamp: 10,78 €
- gebratener Reis (3,94 €)
- 1 große geteilte Kanne Butter Tea (ca. 2 €)
- Pancake (2,63 €)
- 1 große geteilte Kanne Sweet Tea (ca. 2 €)
2 Kommentare
Das liest sich so spannend! Wie einmalig dieses Erlebnis gewesen sein muss. 🙂
Gehen viele weiter zum nächsten Basecamp?
Ich habe mich echt darüber gewundert, dass ein Hotel dort gebaut werden soll. 🙁 Tourismus kann auch manchmal einfach zu viel sein. Irgendwie empfinde ich das Hotel dort als unpassend. Was denkst du?
Danke, dass du uns so wort- und bildreich mit auf Reise nimmst. 🙂
Liebe Jessica,
es war echt der Wahnsinn! Am liebsten würde ich sofort nach Nepal fliegen und den Mount Everest von der anderen Seite aus erkunden – bzw. überhaupt einmal wirklich sehen, ohne Schnee und Nebel 😀
Total! Das ist auch wieder so scheinheilig. China will die Natur schonen und verlegt das Camp ein paar Meter weiter nach unten. Auf der anderen Seite dann aber ein Hotel da hin bauen, damit noch mehr Leute kommen können, die den Luxus eines Hotels brauchen. Dabei macht so eine Nacht in einem Yak-Zelt diese Erfahrung noch besonderer.
Sehr sehr gern. Ist eben auch mein Reisetagebuch 🙂 Kürzere Versionen mit dem Wichtigsten zusammengefasst werden aber auch noch irgendwann kommen.
Achso und zum weitergehen: Ich weiß gar nicht, ob das in Tibet erlaubt ist. Da ist ja alles reglementiert. Ich glaube aber, dass die meisten hoch- und wieder heruntergefahren werden. Am besten wandert man sicher von Nepal aus dort hin und weiter.
Liebste Grüße
Lisa