Und wieder dieser Wow-Moment: Ich bin wirklich in Tibet und stehe vor dem Potala Palast – DEM Symbol des Hochlandes. Hier sollte eigentlich der Dalai Lama wohnen. Auf seinem erhöhten Thron sitzen und Gäste empfangen. In seinem personalisierten Dalai Lama-Raum sitzen und meditieren, studieren, leben. Als ich entlang des leeren Thrones laufe, bekomme ich Gänsehaut. Hier sollte echtes Leben sein. Kein Touristen-Leben.
Natürlich sind wir diesen Morgen wieder die letzten, die zum Treffpunkt in der Lobby erscheinen. Zumindest ausgeschlafen und wohl genährt. Bevor wir zum Potala Palast fahren, gehen wir zu Fuß zum nahe gelegenen Jokhang Tempel – dem spirituellen Zentrum Tibets. Einmal im Leben sollte ein Tibeter zu diesem 1.370 Jahre alten Tempel gepilgert sein.
Der Jokhang Tempel – Tibets heiligster Ort
Der Tempel ist umgeben von der Barkhor Straße, die sich kreisförmig um das Heiligtum legt. Hierher pilgern Gläubige aus dem ganzen Land. Manchmal brauchen sie Monate, bis sie es aus den Bergregionen zum Jokhang Tempel schaffen. Die meisten Pilger kommen zur Winterzeit, wenn das Feld bestellt ist. Einige ansässige Pilger kommen sogar täglich. Sie beginnen noch bevor die Sonne aufgeht, mit ihrem vierstündigen (!) Pilgerweg um den Jokhang Tempel, dem Potala Palast und der Stadtbegrenzung.
Einmal im Uhrzeigersinn durch die Barkhor Straße
Natürlich müssen wir erst durch die Passkontrolle, um auf die Barkhor Straße zu kommen. Zuerst laufen wir, wie die Pilger, im Uhrzeigersinn (natürlich) um den Tempel herum.
Es ist 9.30 Uhr und hier sind bereits unfassbar viele Menschen unterwegs. Viele tragen Schürzen um ihren Nacken gebunden, Knie- und Handschoner. Sie gehen in die Knie und schieben sich inbrünstig in voller Länge über den Boden, richten sich wieder auf, gehen ein paar Schritte, bevor sie wieder zu Boden tauchen. Währender dieser Laufzeremonie beten sie durchgehend ihre Wünsche herunter oder sprechen Mantras.
Überall sind Menschen mit goldenen Gebetsmühlen in der Hand, die sie immer wieder im Uhrzeigersinn schwingen. Viele Menschen in Tibet können nicht lesen. In den Gebetsmühlen sind Mantras eingraviert. Durch das Drehen dieser, wird der Gebetstext quasi automatisch aufgesagt und man muss selbst nichts mehr runterbeten. Ist vielleicht auch ein bisschen wie Beten für Faule …
Wenn ich so mit der Masse in eine Richtung laufe, fühle ich mich wie in einem Strom von Spiritualität, auf dem ich entlang fließe und sachte hin und her gewogen werde.
In das heilige Zentrum des tibetischen Buddhismus
Das Ende der Runde ist der Eingang des Jokhang Tempels. Auch hier ist ein Pulk von Menschen, die alle in Richtung Tempel beten, sich inbrünstig auf den Boden werfen und wieder aufstehen. Auf jeden Fall ein hartes Training. Oder sie sitzen in einem Kreis, quatschen und essen gemeinsam – was ist wiederum nicht so hart.
Wir gehen in den Tempel hinein. Er ist schön, so wie die anderen. Voller Schätze, Religion und Liebe. Aber auch voller Menschen, die alle zum verehrtesten Objekt im tibetischen Buddhismus pilgern: zur heiligsten Statue von Buddha Jowo Shakyamun. Platzangst darf man hier nicht haben.
An diesen heiligen Ort wollen wir unseren weißen Begrüßungsschal ablegen. Für den allerheiligsten Raum hier im Tempel müssten wir zu lange anstehen. Also geben wir den Schal weiter an einen Pilger, der ihn stellvertretend für uns an die heilige Städte bringt. Das soll wohl eine Art Ehre für den Pilger darstellen und etwas sehr positives sein.
Oben auf dem Dach angekommen, scheint die Sonne lachend auf uns herab und ich kann kurze Zeit wieder einfach nur im T-Shirt sein.
Der Potala Palast – die einsame Winterresidenz des Dalai Lamas
Es geht mit dem Minivan direkt zum Potala Palast, der Winterresidenz des Daila Lamas. Wieder eine Pass- und Taschenkontrolle. Dann sind wir in der Parkanlage.
Vor uns erstrahlt ein weißer Palast mit burgunderroten und sonnengelben Elementen. Die bunten Farben stehen für den Buddhismus, die weiße Fassade für die Politik. Alle drei Farben verschmelzen zu einer Einheit, die das Zusammenspiel von Religion und Politik in Tibet darstellt.
Fun Fact: Der Potala Palast wurde anscheinend komplett aus Manneskraft und ohne technische Hilfsmittel erbaut. Noch immer werden bei Restaurationsarbeiten die Einwohner Tibets aufgefordert anzupacken, was sie auch gerne tuen. Die weiße Farbe zum Beispiel wird regelmäßig erneuert indem Kübel voll Farbe gegen die Wand gegossen wird. Das sieht man bei der Nahaufnahme weiter unten ganz gut.
Kleiner Realitäts-Check: Wie Tibet von China unterdrückt wird Teil 3
Der aktuelle Dalai Lama ist bereits der 14. in der Geschichte Tibets und seit 1939 (da war er 4 Jahre alt) das geistliche und weltliche Oberhaupt des Landes. Seit der „Eingliederung“ Tibets in das chinesische „Mutterland“, sind die Chinesen sehr erpicht darauf, den Dalai Lama zu stürzen und den Buddhismus in Tibet sehr klein zu halten, um ihre Macht und eigenen Werte zu etablieren.
So kamen nach der Ergreifung Chinas Gerüchte über eine Entführung des Dalai Lamas auf. In einer Nacht- und Nebelaktion flüchtete der 14. Dalai Lama 1959 über den Himalaya ins Exil nach Indien. Sein Land wird er nie wiedersehen. Und sein Land ihn auch nicht. Denn: In Tibet sind jegliche Bilder, Bücher und andere Medien von dem 14. Dalai Lama strikt verboten. Wer so etwas im Handgepäck hätte, dürfte wohl nicht einreisen.
Im Exil kämpft der Dalai Lama nun seit 60 Jahren für die Selbstbestimmung und Gerechtigkeit Tibets – ohne Erfolg. Mittlerweile stellt der Dalai Lama sogar in Frage, ob es überhaupt eine Wiedergeburt geben soll. So oder so. China wird bestimmen, wer die Reinkarnation des Dalai Lamas sein wird. Jemand politisch korrektes natürlich.
1.000 Stufen den Himmel entgegen
Am Fuße des Palastes gibt uns Lima einen kurzen geschichtlichen Überblick. Dann müssen wir durch eine weitere Kontrolle und können endlich den Berg erklimmen.
1.000 Stufen heißt es zu besteigen. Nach nur zehn sind wir schon alle am Luft schnappen. Auf dieser Höhe fühlt man sich ganz schnell wie eine alte Oma. Null Ausdauer, die Brust schnürt sich zu, man bekommt nur ganz schlecht Luft. Nach einer gefühlten Ewigkeit – was sicher auch an den Fotostopps liegt – kommen wir ganz oben an.
Jetzt haben wir etwa eine Stunde Zeit, um durch den Palast zu kommen. Fun Fact: Der Staat erlaubt jeder Gruppe nur ein ganz enges Zeitfenster für den Besuch des Potala Palastes. Wenn Lima uns nicht rechtzeitig durchbringt, dann muss er eine Strafe zahlen und auch die Agentur bekommt eine Abmahnung. Das gilt für fast alle Sehenswürdigkeiten hier.
Auf dem Roten Berg, im Potala Palast
Wir schlengeln uns durch die Rote Halle. In den verworrenen Gängen und Hallen stehen unzählige Buddha-Statuen sowie die Bildnisse und Stupas der verstorbenen Dalai Lamas. Die Stupa des 5. Dalai Lamas ist besonders groß und prachtvoll. Er war derjenige, der den Bau des Potala Palastes beauftragt hatte.
Ganz oben angekommen, geht es in die Weiße Halle des Potala Palastes – hier lebte und regierte der Dalai Lama. Jeder Dalai Lama hatte ein eigens auf ihn abgestimmten Raum, wo er Gäste empfing, studierte und meditiere. Beim Anblick des leeren Thrones, bekommen wir alle Gänsehaut. Es fühlt sich nicht richtig an, hier zu sein. Hier sollte Leben herrschen, Spiritualität. Keine Touristenmassen, die das nächste tolle Foto schießen wollen.
Shopping Time: durch die Souvenierläden Lhasas
Alle lieben wir eins: die hübschen, bunten Gebetsflaggen, die hier in ganz Tibet verteilt sind. Sie sind auf Hausdächern, um den vorgeschriebenen Chinaflaggen daneben Konkurrenz zu machen. Sie sind um Masten herumgewickelt und auf Bergen aufgestellt, um den Pilgern den Weg zu weisen. Jede Flagge besteht aus fünf Farben. Alleine die Anzahl fünf ist symbolträchtig in Tibet. Sie steht für die vier Himmelsrichtungen und das Zentrum. Die Farben symbolisieren die fünf Elemente:
- blau steht für den Himmel
- weiß für die Luft
- rot für das Feuer
- grün für das Wasser
- gelb für die Erde
Lima führt uns darum zu einem kleinen Laden in einer Nebenstraße der Danjelin Road. Hier bekommen wir alle eine Flagge für 2,58 Euro.
Am Nachmittag kommen wir wieder in unserem Hotel an und haben Freizeit. Morgen geht es frühs direkt weiter Richtung Mount Everest Basecamp. Unsere Wege trennen sich hier. Unser polnischer Freund fliegt wieder nach China. Das holländische Paar wird sich einen See anschauen und dann auch weiter nach Hongkong fliegen. Für die nächsten vier Tage sind wir zu viert: das frisch getraute Paar aus Deutschland und meine liebe Mitbewohnerin.
Nun ist es also an der Zeit, Souveniere und Postkarten shoppen zu gehen. In einem Laden finde ich wunderschöne Ponchos. So einen wollte ich schon immer. Echt! Und im Hinblick auf die nun immer kälter werdenden Nächte, brauche ich diese wunderschöne, grau-rote Wolldecke. Gerade einmal 5 Euro kostet der Poncho und das ohne Verhandeln. Hier gibt’s noch ehrliche Verkäufer!
Kleiner Realitäts-Check: Wie Tibet von China unterdrückt wird Teil 4
Ich liebe die Hauptstraße in Lhasa. Die Häuser sind so hübsch mit ihrem weißen Anstrich, den schwarzbraunen Balken und den bunten Kunstblumen an den Fenstern. Die Geschäfte sind voll mit schönen Klimbimkram, Postkarten, Kleidung aus feiner Wolle, modernen Cafés und traditionellen Teehäusern.
Doch leider muss man sagen: hier ist vieles inszeniert. Die meisten Geschäfte gehören Chinesen. Die bunten Blumen und die roten Flaggen auf den Häusern sind dort anlässlich des 70. Jahrestages der Republik Chinas.
1959 floh nicht nur der Dalai Lama. Mit ihm gingen 10.000 Tibeter – Geistliche wie vor allem auch die Bildungsschicht. Heute sind die Tibeter eine Minderheit in ihrem eigenen Land. Zweidrittel sind Chinesen. Davon gehört jeder Dritte zum Militär, das das Land und seine Einwohner überwachen soll. China ist ein Überwachungsstaat, auch – oder vor allem – in Tibet.
Die Barkhor Straße zwischen Kitsch und Religion
Wir laufen auch noch einmal durch die Barkhor Straße. Im Gegensatz zu den Klöstern und Palästen, darf man hier auch ohne Tourguide eintreten. Wir müssen nur durch die Gepäckkontrolle und unseren Reisepass vorweisen. Irgendwie befremdlich.
Trotzdem ist diese Straße jeden Besuch wert. Hier gibt es noch viele weitere Souvenierläden, aber vor allem: das echte tibetische Leben.
Wir erfreuen uns an der spirituellen, wuseligen Atmosphäre, die hier herrscht. Ich liebe es, all die schönen Menschen zu beobachten, die so inbrünstig zu Buddha beten. Mit ihren goldenen Gebetsmühlen und bunten Gebetsketten. Alte Männer und Frauen mit ihrer eingefallenen, weichen Haut und den jungen Augen. Mütter in den buntesten Gewändern und mit ihren Babies fest auf dem Rücken geschnallt. Kleine Kinder mit ihren verbrannten Bäckchen, die so niedlich rosig erstrahlen.
Mit den ersten heftigen Kopfschmerzen ins Bett
Am Ende unseres Shoppingausflugs geht es mir leider überhaupt nicht mehr gut. Ich habe heute viel zu wenig getrunken und das recht sich jetzt. Mein Kopf platzt gleich. Zu unserem letzten Dinner kann ich leider nicht mehr mitkommen. Ich muss mich um 18 Uhr hinlegen und einen Powernap machen.
Fälschlicherweise schmeiße ich mir noch eine Aspirin ein. Auf dieser Höhe bitte nie Aspirin nehmen! Es wirkt sich negativ auf die Sauerstoff-Aufnahmefähigkeit aus. Lieber Paracetaol oder Ibu.
Ich hatte aber Glück und bin am nächsten Tag wieder fit.
Meine Ausgaben heute: Was kostet Tibet?
- 1 Steamed Bun und M & M’s: 6,96 € (ich glaube, ich habe die Rechnung des vorherigen Kunden bezahlt)
- Mittag: Kartoffelschnitze mit Yakfleisch für 4,51 €
- Poncho: 6,45 €
- Gebetsflagge: 2,58 €
- Postkarten: 5,03 €